Sozialdemokratisches Liederbuch für Friedrich-Ebert-Stiftung

Klaus Kaiser, seit langen Jahren Mitglied der SPD und Spross einer ursozialdemokratischen Familie aus dem Herzen des Ruhrpotts, trat im vergangenen Jahr mit einem nicht alltäglichen Anliegen auf den Vorstand des Ortsvereins zu. Aus dem Nachlass eines Verwandten hatte er ein kleines Büchlein, das aufgrund seiner Unscheinbarkeit fast unter die Räder gekommen wäre. Hierbei handelte es sich um das "Sozialdemokratische Liederbuch" von Max Kegel in der 8. Auflage von 1897. Dieses für sein über 100jähriges Alter sehr gut erhaltene Buch wollte Klaus Kaiser der SPD zur Verfügung stellen. über den Ortsvereins-Vorstand wurde schnell Kontakt geknüpft zur Friedrich-Ebert- Stiftung. Die dortige Bibliothek besitzt einen europaweit einmaligen Bestand zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Das Liederbuch ist eine wertvolle Ergänzung für diese Sammlung. Die Bibliothek ist der regionalen und überregionalen Literaturversorgung angeschlossen und auf diesem Wege wird das Liederbuch der historischen Forschung zur Verfügung gestellt. Als Dankeschön lud die FES Klaus Kaiser nach Bonn ein. Auch der Spender ist zufrieden: "Ich freue mich, dass das Buch dort ist, wo man seinen Wert zu schätzen weiß. Es ist in guten Händen." Seitens des SPD-Ortsvereins möchten wir Klaus Kaiser auch auf diesem Wege nochmals herzlich danken.

Der Sozialistenmarsch

Max Kegel’s Sozialdemokratisches Liederbuch

Titel Liedbuch

Das von Max Kegel herausgegebene "Sozialdemokratisches Liederbuch" war eines der verbreitetsten und auflagestärksten Liederbücher der deutschsprachigen Arbeiterbewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert. Die erste Auflage erschien 1891 und erlebte mindestens acht Auflagen. 1891 dichtete Max Kegel eigens für den Erfurter Parteitag der SPD, eines der ältesten und beliebtesten Lied der Arbeiterbewegung, den "Sozialistenmarsch", in der Vertonung von Karl Gramm.

Der in ärmlichen Verhältnissen in Dresden aufgewachsene Buchdrucker Max Kegel, geb. am 6. 1. 1850, schloss sich 1869 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei an. Ständig um seine Weiterbildung bemüht, begann er seine journalistischen und literarischen Fähigkeiten in den Dienst der Arbeiterpresse zu stellen: zuerst beim "Dresdner Volksblatt", kurz darauf bei der Chemnitzer "Freien Presse". Nach dem Erlass des Bismarckschen "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", dem sogenannten Sozialistengesetz 1878 bis 1890, wechselte er in das etwas liberalere Bayern und arbeitete dort an der "Fränkischen Tagespost" und an der "Bayerischen Gerichtszeitung" - einem der vielen damaligen sozialdemokratischen Tarnorgane. Neben seiner unermüdlichen Agitationsarbeit für die Sozialdemokratie redigierte er zudem sozialdemokratische Witzblätter und war ab 1888 Mitredakteur der sozialistischen politisch-satirischen Zeitschrift "Der wahre Jakob", die zu Hunderttausenden in den Arbeiterfamilien kursierte.

Gesungen wurde seit ewigen Zeiten, nicht nur am heimischen Herd oder in froher Runde zur Freude und Entspannung, romantisierend über Liebe und Leid, über Sehnsucht und Hoffnung; sondern Musik und Gesang sollten im Krieg die Massen zu Kampf und Opfertod motivieren.

Auszug Liedbuch

Auch die Lieder der Arbeiterbewegung waren Kampflieder. Allerdings nicht für das Schlachtfeld bestimmt, sondern als Ermutigung und Aufschrei zum Kampf für eine neue, gerechte und bessere Welt. Sie sollten Ausdruck und Anklage gegen die herrschenden Umstände, gegen Unterdrückung, gegen Armut und für Gleichberechtigung sein. Nicht nur vor dem Aufkommen des Sozialismus zeugen viele Lieder von dieser Sehnsucht, aber anfangs des 19. Jahrhunderts nahm diese Form des „musikalischen“ Widerstands enorm zu; nicht zuletzt auf Grund steigernden Verbreitung von Flugschriften und Druckwerken. Diese Lieder hatten sowohl eine sozial-polarisiernde als auch eine sozial-integrative Funktion (Lidke, S. 257)

Während des Sozialistengesetzes, das die organisierte Sozialdemokratie vor allem in Preußen verbot, erlebte der Gesang in der Arbeiterbewegung eine Blütezeit besonderer Art. Um sich ungestraft versammeln zu können, bildeten sich vielerorts (Arbeiter-)Gesangsvereine als Tarnung. So berichtet z. B. August Bebel in seinen Erinnerungen , man habe anlässlich einer geheimen Versammlung in einem Lokal bei Dresden den Wirtsleuten erklärt, man sei ein Gesangsverein, und, um sie und etwaige Spitzel zu täuschen, "ab und zu ein Lied gesungen" (Bebel, S. 584).

Auffällig war an den Arbeiterliedern vor der Weimarer Republik, dass sie selten eine eigenständige Vertonung besaßen, sondern auf die Melodie anderer bekannter und beliebter Weisen zurückgriffen, wie z.B. "Prinz Eugen   ", "Die Wacht am Rhein ...", "Lützows wilde, verwegene Jagd...", "Stille Nacht ... ", "Ein feste Burg ..." etc.

Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass das Notenlesen wenig verbreitet war, es bot aber auch die Möglichkeit, einer "bürgerlichen" Melodie einen verfremdenden, parodistischen, persiflierenden oder gar spöttischen Text aufzusetzen. Von daher nicht unbegründet scheint auch die Vermutung, dass man in der Zeit des Sozialistengesetzes so schnell von einem "verbotenen" Text auf das volkstümliche Original "umschalten" konnte (Lidtke, S. 252ff.)

Max Kegels Sozialdemokratisches Liederbuch, kaum so groß wie ein Postkarte, enthält alle seiner Zeit bekannten Liedertexte der Arbeiterbewegung. Entsprechend seiner Intention heißt es im Prolog des Büchlein:

 

Es waren verbannt unsre Lieder,

Und Friedhofsruh’ deckte das Land,

Die Reaktion hielt darnieder

Die Freiheit mit eiserner Hand.

 

Doch nun wir im schweigenden Ringen

Den mächtigen Feind besiegt,

Nun sollen aufs Neue erklingen

Die Lieder vom Sturme gewiegt.

 

Sie sollen die Welt durchhallen

Und wecken ein freies Geschlecht,

Sie sollen als Losung erschallen

Im Kampfe für Wahrheit und Recht.

 

 

 

 

Literatur:

Bebel, August, Aus meinem Leben, Ungekürzte Ausgabe, Berlin/Bonn 1986

Lidtke, Vernon L., Songs and Politics: An Exploratory Essay on Arbeiterlieder in the Weimar Republik, AfS, XIV, Bonn 1974

Osterroth, Franz, Biographisches Lexikon des Sozialismus, Hannover 1960, S. 160